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SIE WOLLEN DOCH NUR SPIELEN

 

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Sie wollen doch nur spielen

 

Die Kleinen begeistern, sie werden gehegt und gepflegt. Aber sie geben den Großen auch Anlass zu Streit - die fazinierende Welt des Kinderhandball bietet strahlende Momente und Schattenseiten.

Sie feuern lautstark ihre Helden an und schimpfen auf die Schiedsrichter und die gegnerische Mannschaft. Sie haben oft zu hohe Erwartungen an die jungen Spieler und treffen sich mit diesen zur gemeinsamen Bilanz am Frühstückstisch. Sie sind Taxifahrer, Kuchenbäcker, Fantrommler und Individualtrainer in personalunion und haben zum leidwesen der tatsächlich zuständigen Trainer auch während des Spiels immer gute Ratschläge für ihre Schützlinge parat: Eltern verleihen dem Kinderhandball seine eigene Atmosphäre. Und, natürlich, ohne sie gäbe es den Kinderhandball gar nicht.

Berliner Handballverband, Anfang September: der Kreativ-Motor von Präsident Henning Opitz und seinem Team läuft auf Hochtouren, das Projekt sei pfiffig - sei Schiedsrichter - sei fair! verlangt dem Verband jede Menge Arbeit ab. Seit Dezember 2008 haben sich die Berliner zum Ziel gesetzt, die Rahmenbedingungen für ihre Schiedsrichter zu verbessern. Auchm was die Stimmung bei Jugendspielen auf der Tribüne angeht. "Gerade durch Eltern, die nicht nur ihre Kinder, sondern auch die angesetzten Nachwuchsschiedsrichter anmeckern, haben wir eine hohe Quote von Abbrechern,", sagt Opitz und verweist auf eine Studie des badischen Verbandes zur Drop-ou-Problematik bei Schiedsrichtern.

 

Viele Eltern müssen erst lernen, dass nicht aus jedem Kind ein neuer Karabatic werden kann


Deren Ergebnisse sind deutlich: 80 Prozent der Aussteiger entstammten der Gruppe der 16- bis 22-Jährigen. Badens Geschäftsführer Uwe Ziegenhagen betont zwar, dass das Hauptproblem der Befragten die zeitliche Mehrfachbelastung sein; dass die Gruppe aber oft noch nicht stressresistent genug für umkämpfte Spiele mit lauter Tribüne ist, dürfte kein geheimnis sein. "Wir müssen hier unsere Schulungsinhalte überarbeiten und unsere Jugendschiedsrichter besser auf solche Stresssituationen vorbereiten", fordert Ziegenhagen.

Für Opitz sind die deutlichen Ausstiegszahlen bei den Jungschiedsrichtern ein Signal, mit der neu aufgezogenen Kampagne nicht nur die Wertigkeit der Nachwuchs-Schieris in deren vereinen zu heben, sondern auch gezielten und direkten Kontakt mit den Eltern aufzubauen. Für dieses Vorhaben hat der Berliner einen Blick zum großen Bruder Fussball gewagt. "Wir sind dabei, den ´fair play Elterncheck´ des DFB für den Kinderhandball umzuschreiben", so Opitz. In dem Fachblatt des Deutschen Fussballbundes können die Eltern anhand von elf Fragen nachprüfen, ob sie sich fantauglich verhalten - oder eben nicht. In der Einleitung der sechsseitigen Broschüre steht der passende Satz, dass "nicht aus jedem Bambino ein Lukas Podolski werden" kann. Dass nicht jedes Handballkind mal ein Karabatic wird, scheint auch nicht jeder Elternteil im Hinterkopf zu haben.

Ein Eindruk, den Renate Schubert bestätigt. Die erfahrene Trainerin, eine der führenden Kräfte in der Aus- und Weiterbildung von Kinderhandballtrainern, schließt allerdings eine weitere Gruppe in das Feld der Fans mit fehlverhalten ein. "Eltern und Funktionäre", sagt Schubert, "sind oft die größten Blockierer für das Selbstvertrauen von Kindern auf dem Spielfeld. Bei Trainern gibt es zwar auch schwarze Schafe; die meisten davon sind aber entweder Vertreter der älteren generation oder Spieler, die keine Trainerausbildung gemacht haben. Die jüngeren Trainer, die Fortbildungen absolvieren, wiessen, wie sie mit den Kindern und den Schiedsrichtern umzugehen haben."

Dass Eltern ihren Sprösslingen unnötigen Druck bereiten oder überhöhte Erwartungen an das Spiel ihres Kindes stellen, bringt Schubert auf die Palme. "Eigentlich müssten wir für Eltern iund Funktionäre ebenfalls Lehrgänge anbieten. Viele Eltern verstehen einfach nicht, dass Kinder bis zum Alter von zehn Jahren noch gar nicht in der Lage sind, einen komplexen Mannschaftssport wie Handball mit Tiefen- und Raumwahrnehmung zu betreiben, sondern sich erst einmal die koordinativen und technischen Grundlagen erarbeiten müssen."

Zuspruch erhält Schubert von Lothar Linz. Der Diplom-Psychologe beschäftigt sich seit 1977 im Rahmen seiner Initiative Sportsgeist mit der psychologischen Betreuung von Einzelsportlern, Mannschaften und Vereinen. Zur Beziehung zwischen Eltern und Kindern im Sport nimmt der sportwissenschaftliche Experte für metale Stärke eine eindeutige Position ein. "In den meisten Fällen", sagt Linz, "sind Kinder bis zum Alter von teils 14 Jahren im Bezug auf ihren Sport stark abhängig von ihren Eltern - und das nicht nur, was Dinge wie fehlende eigene Mobilität angeht. Durch die starke emotionale Abhängigkeit sind Eltern vielmehr ein sehr wichtiges Talentkriterium und nehmen erheblichen Einfluss auf die sportliche Entwicklung ihres Kindes." Dass Eltern dabei auch zum Problem werden können, bestätigt Linz. "Besonders schlimm ist es für Kinder, deren Eltern schlechte Leistungen auf dem Spielfeld persönlich nehmen und vielleicht sogar gekränkt oder verletzt reagieren." In solchen Fällen könne es für die Kinder "besser sein, keine Eltern auf der Tribüne sitzen zu haben".

Eine Problematik, der der Handballverband Berlin mit seinen Faltblättern für Eltern entgegentreten möchte. "Die ersten Spielrunden der F-, E- und D-Jugenden haben wir in der neuen Saison zentral angesetzt", sagt Opitz. "Das heißt, wir können zum Saisonstart den direkten Kontakt mit den Eltern herstellen und ihnen und den Vereinen unsere Faltblätter zur Verfügung stellen." Warum aber die Mühe, die Eltern direkt und nicht nur über die Vereine anzusprechen? Opitz lächelt: "Bei den Fussballern konnten wir uns die Prozedur bereits anschauen. ich weiß von einem größeren süddeutschen Verein, dessen Kinder die Faltblätter selbst an die Eltern weitergeben sollten. Deshalb hatten sie dann maximal Ärger zu Hause, geändert hat sich jedoch auf der Tribüne nichts."

 

Der Spielbetrieb ist auf engagierte Eltern angewiesen, doch der Grat zwischen Einsatz und Übereifer ist schmal


Dann doch lieber die Zusatzarbeit eines zentralen Spieltages auf sich nehmen, meint der Präsident. Zusätzliches Material erhält der HVB durch einen Deal mit dem europäischen Verband: Für die EM 2010 wurde eine Version des EHF-Regelwerks für Jugendspieler und -Schiedsrichter ins Deutsche übersetzt. Diese darf der HVB mit dem für die Schierikampagne entwickelten Logo bedrucken und ebenfalls verteilen. Denn fehlende Regelkunde ist einer der Gründe, warum sowohl Eltern als auch bei Kindern oftmals unnötig die Emotionen hochkochen. Ein weiterer: der Schutz- und Förderinstinkt im bezug auf das eigene Kind. Sei es, wenn ein Gegenspieler den Filis foult - oder weil der Trainer dem Sprössling zu wenig Einsatzzeit gewährt.

Davon kann Anke Stötzel ein Lied singen. Die A-Lizenz-Trainerinarbeitet seit mehr als 25 Jahren bei der TSG Adler Dielfen und kümmert sich um die weibliche Jugend sowie die Frauen des Vereins. "Meine erste Mannschaft habe ich hier mit 16 trainiert, jetzt bin ich 43", sagt Stötzel und fügt an: "Inzwischen hat sich einiges verändert." Denn obwohl Stötzel in der TSG in den vergangenen Jahren immer wieder Westfallenauswahlspielerinnen ausgebildet hat, empfindet sie sich von den Eltern in ihrer Arbeit immer weniger akzeptiert. "Dass einige Mädesl ohne mich nie den Sprung in die Auswahl geschafft hätten, sehen die Eltern gar nicht. Sie werfen mir eher vor, mich nicht noch intensiver um ihr Kind zu kümmern." Immer wieder hört die Trainerin: "Mein Kind könnte doch mit mehr Zuwendung noch viel mehr." Dass man Kommentare von der Tribüne während des Spiels ausblenden kann, hält sie für ein Gerücht. "Natürlich hört man das - es hinterläßt Spuren", sagt Stötzel.

Und das ist einer der Gründe, dass das Jugendförderprojekt der TSG eingestellt wurde, Stötzel hat sich in der neuen Saison deutlich weniger engagiert. "Früher hätte ich solche Eltern mitsamt Kind aus dem verein geworfen", ärgert sich die Trainerin. "Aber mittlerweile ist man viel mehr auf die Eltern angewiesen. Und die sind entweder desinteressiert - oder sie pushen ihr Kind bis ins Unermessliche." Zur Stimmung auf der Tribüne sagt die Trainerin mit warnenden Unterton: "Wir sind da auf einem gefährlichem Weg und - was Fankultur angeht - gar nicht mehr so weit vom Fussball entfernt."

Beispiele dafür, dass es Eltern gibt, die auf der Tribüne schlichtweg ihre Manieren vergessen, finden sich zuhauf, etwa auf schirigeschichten.de. Lutz Straube schildert dort seine Erlebnisse als Schiedsrichter bei Kreisliga-Spielen in der region Brandenburg. Bei einem von ihm geleiteten C-Jugendspiel wird ein Spieler unsanft aus der Luft geholt und verletzt sich. "Als er am Boden liegt", schreibt Straube, "da brüllen die ersten los. `Na heul doch! Heul doch!´... Der Bengel liegt da und ist wirklich nahe dran. Kein Wunder, es tut weh (...) und nun noch diese Aufmunterung von den vielen da draussen. Das ist schon heftig für einen 13-Jährigen."

 

Müssen Eltern etwa als die bösen Kreaturen abgestempelt werden, ohne die der Kinderhandball ein paradiesischer Riesenspielplatz wäre? Mit Sicherheit nicht.


Wir schwenken zum Gegenbeispiel nach Südhessen, zur JSG Bischofsheim/Gustavsburg. Die JSG ist eine der wenigen Jugendspielgemeinschaften in Deutschland, die über einen eigen Fanklub mit Internetseite verfügen. Die Webpräsenz gubi-fans.de entstand im Mai 2008, als die C-Jugend der JSG die Qualifikation zur Oberliga bewältigte. Axel Kretschmer, ein engagierter Vater, dessen Söhne Florian und Daniel 2008 beide im Verein aktiv waren, baute die Seite zunächst nur, um einige Fotos der C-Jugend ins Internet zu stellen. Da die offizielle Vereinshomepage aber der Zeit hinterherhinkte und Trainer, Eltern und Spieler der gubi-Seite eine große Akzeptanz entgegenbrachten, wurdesie als Informationsseite für die gesamte Jugendarbeit des Vereins ausgeweitet und schließlich vom Verein adoptiert.

Inzwischen kann gubi-fans.de knapp 60.000 Besucher aufweisen. Sogar Merchandising der Jugend ist vorhanden: Für die wahren Anhänger gibt es gubi-Fanschals zu kaufen. "Die Schals waren ein Spielergeschenk zu Weihnachten und sind auch bei den jüngeren Mannschaften auf der Tribüne zu finden", sagt Kretschmer. "So bierernst, wie die Seite vermuten lässt, ist der Fanklub aber nicht." Der Verein ist klein, seit dieser Saison gibt es Aufgrund Spielermangels keine D- und keine B-Jugend mehr, sodass Sohn Florian wechseln musste.

"Ich wollte mit der etwas aufwändiger produzierten Seite meinen Teil als Nicht-Handballer dazu beitragen, Reklame für die Jugend unseres Vereins zu machen. Leider hat uns da die Realität eingeholt", sagt Kretschmer. Doch die übrig gebliebenen Eltern und Trainer engagieren sich weiter, um den Kindern auch ausserhalb des Trainings etwas bieten zu können. So haben die gubi-Fans einen Bruder bekommen: Seit 2009 existieren die "Gubi-Allt-Stars", eine Mix-Mannschaft aus Eltern und Kindern, die sich in gewissen Abständen zum gemiensamen Spaß-Trainingsabend in der Halle trifft.

Ebenfalls in Hessen beheimatet ist der VfL Goldstein. Der Verein, aus dessen Jugend unter anderem Junioren-Weltmeister Steffen Fäth hervorgegangen ist, lebt seit Jahren vom Einsatz seiner Elter. Jugendkoordinator Nobert Zack betont: "Für uns ist es wichtig, dass Eltern aktiv einen Teil zum Wohlbefinden ihrer Kinder im Verein beisteuern. Vereinsleben ist mehr, als die Kinder an der Tür abzugeben. Deshalb geben wir uns Mühe, auch asserhalb der Halle etwas zu unternehmen." Seit dieser Saison sind die Goldsteiner Jugendmannschaften gemeinsam mit dem BSC Kelsterbach und der TG Schwanheim zur JSG Mainball fusioniert. Die gute Zusammenarbeit mit den Eltern muss sich nun möglichst schnell neu finden, zumal sich das Aufgabenfeld erweitert hat: Neben Angeboten wie dem jährlichen Sommerurlaub in Spanien müssen durch das Training in mehreren Städten Fahrdienste mit dem Vereinsbus organisiert werden. "Wir haben in der Jugendspielgemeinschaft 350 Kinder und Jugendliche zu betreuen", sagt Zack. "Ohne Eltern geht es da nicht."

Da das Engagement der Neuen bisher eher zögerlich dem gewünschtem Level entgegensteuert, gibt es für Zack jede Menge Gesprächsbedarf. Auch, was den elterlichen Wunsch nach Quotenspielzeiten angeht. "In fast jeder neu formierten Mannschaft haben wir einen `Star`, dessen Eltern von der Tribüne aus Einfluss auf den Trainer nehmen", sagt Zack. "In solchen Fällen suchen wir die direkte Konfrontation mit den Vätern und Müttern." Sonstige organisatorische Probleme werden in der JSG bei Elternabenden besprochen. Da die elterliche Bindung bereits bei den Minis erfolgt, sind die Abende gut besucht. "Die Kultur, dass sich die Handball-Eltern leidenschaftlich für den Sport ihrer Kinder engagieren, existiert in Goldstein schon lange", erzählt Zack mit Stolz. "Und ich bin guter Dinge, dass auch in der neuen Spielgemeinschaft bald alles nach unseren Vorstellungen abläuft."

Leidenschaftliche Eltern machen eben fast alles für ihr Kind und dessen Hobby. Sie lassen es soagr von zu Hause ausziehen - so, wie Andrea Raum aus dem südwestfälischen Eiserfeld. Ihre Tochter Marie-Theres, genannt Minnie, ist gerade 15 geworden und von klein auf handballverrückt. Da in der Region langfristig die handballerische Perspektive fehlt, haben die Eltern mühsam das nötige Geld zusammengespart, um Minnie aufs Handball-Internat nach Bad Wildungen schicken zu können. 350 Euro pro Monat kostet die Eltern die sportliche Laufbahn der 15-Jährigen, die seit August mit einigen der 28 B- und A-Jugendspielerinnen aus Norddeutschland sowie der Schweiz und Belgien in einer Wohngemeinschaft im Internat lebt. Das zehnte Schuljahr absolviert Minnie in ihrer neuen Klasse in Hessen. Ihre Tochter hat Andrea Anfang September erstmals nach vier Wochen auf einem Turnier wiedergesehen - eine ungewohnte Erfahrung.

"Natürlich ist es komisch, sie nicht zu Hause zu haben. Aber wir haben ihr die Entscheidung überlassen", sagt die zweifache Mutter. "Und da das Umfeld in Bad Wildungen sehr professionell ist und mit guter Betreuung aufwartet, habe ich ein gutes Gefühl." Die schmerzlichste Ungewöhnung sei es, ihre Tochter nicht jede Woche spielen sehen zu können. "Mein Sohn Sebastian ist ja auch noch aktiv, mein Mann ist Trainer - da müssen erst einmal die Spielpläne abgeglichen werden", sagt Andrea mit einem Lächeln. Die Pläne hängen bei den Raums nebeneinander an der Wand, die Auswärtsspiele von Minnie sind markiert. "Bei denen", erklärt die Mutter, "müssen wir meistens nicht so weit fahren.

(Quelle: Handball-Magazin, November 2009, von Micha Sommer)

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